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MEDIA Central meets... Michael Gerling!

Geprägt durch bekannte Faktoren wie Corona, Krieg und die Energiekrise ist 2022 für KonsumentInnen, aber auch für den Handel ein herausforderndes Jahr. „Wer keine Substanz hat, wird es in diesem Jahr schwer haben“, meint Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute und Handelsexperte. Wie Angebotskommunikation dabei helfen kann, verrät er im Interview für unseren MEDIA Central Blog!

Portrait Michael Gerling

Willkommen, Herr Gerling. Die Konsumbereitschaft ist aus bekannten Gründen bei vielen Deutschen aktuell gedämpft. Was bedeutet das für das Werbeverhalten der Händler? Greift der übliche Mechanismus – wer mehr Werbung macht, macht mehr Umsatz?

KonsumentInnen haben aktuell die klare Erwartung, dass es Ihnen bald an verfügbarem Einkommen mangelt. Treiber sind natürlich die Gas- und Energiekosten, die sich verdoppeln, oder Benzinpreise, die immer noch auf einem hohen Niveau sind. Die KonsumentInnen haben Sorge, ihre Rechnungen, vielleicht sogar ihre Immobilienfinanzierung nicht mehr zahlen zu können. Das macht sich jetzt schon in den Umsätzen bemerkbar. Auch der Lebensmitteleinzelhandel spürt das mit einem Umsatzrückgang von bis zu 10%, dabei hat sich der Umsatz die letzten Jahre doch so prickelnd entwickelt. Biosortimente, regionale Waren und Spezialitäten haben aktuell an Relevanz verloren, während Eigenmarken gewinnen. Der Preis dominiert den Einkaufskorb.

Für den Händler bedeutet das, dass der Preis als Werbebotschaft wieder in den Fokus gerückt wird. Das passiert vorrangig über Print – aber auch Kanäle wie TV-Werbung, die sonst eher für Image-Botschaften prädestiniert sind, werden für Angebotswerbung genutzt. Es sind keine Einsparungen an Werbekosten zu verzeichnen – und das ist gut so, denn gerade jetzt muss der Werbedruck aufrecht gehalten werden.

Apropos Print. Unsere Studie „Die Bedeutung des Prospekts 2022“ mit IFH MEDIA ANALYTICS zeigt, dass der Prospekt bei KonsumentInnen unverändert beliebt und nun Konvergenz gefragt ist. Jüngste Entwicklungen bei OBI oder Teilen der REWE laufen dazu konträr. Wie schätzen Sie die Entscheidung ein?

Wir beobachten schon lange, dass digitale Werbemaßnahmen zunehmen. Wichtig ist aber, das Thema nicht Schwarz und Weiß zu sehen. Es ist keine Frage von Print oder Digital, es sollte sich vielmehr um eine Koexistenz handeln. Eine Reduktion von Print-Maßnahmen oder gar die Abkehr bedeutet unserer Erfahrung nach lange Tests und Vorbereitungszeiten. Und es gibt natürlich Branchen, die digitalaffiner sind als andere – gerade der LEH hält am Prospekt fest. Umso überraschender war auch für uns die Entscheidung der Supermarktsparte der REWE, künftig auf Prospekte zu verzichten. Aber auch hier zeigt sich nun die intensive Vorarbeit: Die REWE hat die Entscheidung in die konsequente Nachhaltigkeits-Strategie implementiert, sie hat über Payback, Newsletter und App eine digitale Verbindung zu vielen Kunden aufgebaut und auch die Märkte bspw. in puncto Angebotskennzeichnung ideal vorbereitet. Der Trend, auf den Prospekt zu verzichten, zeichnet sich aber bei anderen Lebensmitteleinzelhändlern aktuell nicht ab.

Klar ist aber, dass der Faktor Kosten gerade auch im Handel dominiert. Wir sprechen aktuell über einen Prozentpunkt Kostensteigerung nur für Energiekosten, die gestiegenen Indexmieten und der Mindestlohn ab Oktober kommen noch hinzu. Alles wird auf den Prüfstand gestellt und hinsichtlich der Effizienz untersucht. Bei aller Einsparung muss am Ende des Tages aber immer der Umsatz stimmen.

Der Prospekt wird oft fälschlich als das Gegenteil von nachhaltigem Handeln dargestellt. Dabei wird für Beilagen bis zu 10x recyceltes Altpapier verwendet, das meist auch FSC®- oder PEFC™-zertifiziert ist. Leidet der Prospekt Ihrer Meinung nach unter dem falschen Image?

Der Prospekt leidet sicherlich bei Teilen der Bevölkerung unter einem schlechten Image. Ob das Image richtig oder falsch ist, kann ich nicht beurteilen. Es gibt aber eine Reihe von gesellschaftlichen Gruppen, die gegen Beilagen kämpfen – die jüngsten Entwicklungen haben die Nachhaltigkeitsdebatte noch einmal enorm angefacht. Bäume fällen ist ein sehr plastisches Bild – wer zeigen will, dass gar keine Bäume für Prospekte gefällt werden, hat es sicher nicht leicht, dies zu vermitteln. Die einfachen Botschaften setzen sich fest.

Zu guter Letzt: Können Sie uns bereits einen Einblick in die Ergebnisse der Studie „Die Zukunft der Angebotskommunikation“ geben, die im September erscheint?

Mit dieser Studie zur Zukunft der Angebotskommunikation haben wir einen weiten Blick in die Zukunft gewagt und sind gedanklich ins Jahr 2035 gereist. Die Fragen, die sich stellen, sind groß: Wie und mit welchen Medien erreiche ich auch künftig noch junge, aber auch ältere Menschen? Welche Effekte werden neue Technologien auf die Aktionswerbung im Handel haben? Wie wirkt sich die Rohstoffknappheit auf den Prospekt aus?

Immer, wenn wir es, wie bei diesen Fragen, mit hoher Ungewissheit zu tun haben, ist es hilfreich, nicht nur eine Zukunft zu betrachten, sondern wir müssen uns mehrere Zukünfte ansehen sowie zukunftsoffen denken. Diesem Ansatz sind wir bei unserer Studie gefolgt. Es ist uns gelungen, acht unterschiedliche Szenarien zur Zukunft der Angebotskommunikation zu entwickeln.

Das Szenario Club-Eco-System, das wir uns hier stellvertretend anschauen, stellt das stärkste Wunsch-Szenario für das Jahr 2035 dar. In dieser Zukunft befinden wir uns in einer Wohlstandsgesellschaft, die sehr auf Individualität und Status fokussiert ist. Hier entstehen emotionale Lifestyle-Partnerschaften mit einer starken Bindung zwischen Handel und spezifischen Communities. Fressnapf mit seinem Ökosystem für den Tierfreund könnte als Beispiel dienen.

Die Rolle des Handels besteht in der Schaffung von Mehrwerten. Durch kuratierte Angebote, Inhalte, Formate sowie hochgradiger Convenience für die Kundschaft, z.B. durch die Automatisierung von Einkaufsroutinen und -prozessen. Man will dadurch Bindung erzeugen, ebenso, wie eine Sogwirkung in dieses Eco-System. Das geht einher mit umfassenden Datenaustausch. Auf der Kommunikationsseite haben wir eine hohe Vielfalt digitaler Kanäle, auch eine wachsende Bedeutung virtueller Gemeinschaften, in der die Mitglieder selbst als Promotoren agieren.

Wir bedanken uns für das aufschlussreiche Gespräch!

Die Szenariostudie "Die Zukunft der Angebotskommunikation" erscheint im September und kann bereits jetzt vorbestellt werden.